30 Jahre CSD Frankfurt

Der CSD Frankfurt ist Bürgerrechtsbewegung, Strassenfest, politische Aktion und der höchste Feiertag der queeren Gemeinde in Frankfurt. Beim ersten CSD in der Klingerstrasse 1992 ging es darum, Solidarität mit den vielfach stigmatisierten und diskriminierten Menschen unserer Community zu zeigen, die eine HIV-Infektion erlitten hatten. Es war die Dringlichkeit der Epedemie, die vor allem schwule Männer* dazu brachte, Rechte, Versorgung und Akzeptanz einzufordern. Das Fest wurde rasant größer und 1995 mit über 30.000 Besucher*innen eroberte es die Konstablerwache zum ersten Mal. Diesen Ort in der Mitte des öffentlichen Lebens zu besetzen, war damals nur dadurch möglich, dass sich die Journalistin Ulrike Holler an ihren Mann, den damaligen Bürgermeister Frankfurts, wandte – ein Teil der unerzählten Geschichte der Straight Allys in der queeren Community. Mit dieser Sichtbarkeit wurde die Bekämpfung der breiten gesellschaftspolitischen und rechtlichen Diskriminierung von queeren Menschen und ihren Lebensweisen zum zentralen Anliegen des Demozuges und des Strassenfestes.

1995: „Solidarität ist keine leere Formel, sondern die überlebensnotwendige Geisteshaltung, mit der wir unsere Rechte als vollwertige Mitglieder dieser Gesellschaft einklagen müssen.“

Achim Teipelke, Geschäftsführer der AIDS-Hilfe Frankfurt e.V. 

Mit den Forderungen zum CSD 1998 werden die Diskriminierung am Arbeitsplatz und die Marginalisierung von lesbischen Frauen in den Fokus genommen, und heute noch ist es ein trauriges Faktum, dass sich etwa 50% der LGBTQIA* Menschen aus Angst vor negativen Folgen nicht an ihrem Arbeitsplatz outen. Mit dem Motto des CSD 2000 „Vielfalt braucht Taten“ feiern über 65.000 Menschen eine inzwischen 3-tägige, bunte Party, die in nur wenigen Jahren zu einem festen Bestandteil des Frankfurter Lebens wird.

Zwar geraten in den frühen 2000er Jahren die politischen Inhalte mehr in den Hintergrund – doch vielleicht war es auch einfach eine neue, befreiende Erfahrung für viele queere Menschen, sichtbar und gemeinsam ausgelassen zu feiern — denn die Community lernt sich in ihrer Vielfalt in diesen Jahren der gesellschaftlichen Öffnung auch erst selbst besser kennen. So liest das geneigte Publikum im Programm des CSD 2002 zum ersten Mal von Trans*Menschen als Teil der „Lesben- und Schwulen-Community“ Frankfurts.

Doch nicht nur die Wahrnehmung der Frankfurter Community für ihre eigene Vielfalt wird größer, 2006 weitet der CSD politisch seinen Blick nach Europa aus und solidarisiert sich mit der verfolgten queeren Community Polens. 2007 ist die Akzeptanz so weit gewachsen, dass sich erstmals Vertreter aller Parteien auf unsere Bühne begeben und offen solidarisieren. Im Programm werden unterschiedliche Identitäten angesprochen – es geht um kulturelle und soziale Unterschiede und den Wunsch nach Zusammenhalt innerhalb der bunten Gemeinschaft.

Die Gesellschaft als Ganzes erlebt in den nächsten Jahren, wie sich in Unternehmen und Politik eine Wende vollzieht, Diversity-Konzepte werden aufgesetzt, queere Betriebsgruppen gegründet und mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft gibt es (seit 2001) für einen Teil der LGBTQIA* Community eine Art der rechtlichen Annerkennung ihrer Partnerschaften. 2010 ist mit Bisexualität eine weitere Identität auf die Agenda gerückt,  rechtliche Annerkennung und Schutz sexueller Identitäten wird 2011 mit dem Beginn der Initiative zur Änderung des Artikel 3 des Grundgesetzes gefordert, die auch jetzt, 11 Jahre später, ihren Kampf fortsetzen muss.

Wir haben den Menschen in den Mittelpunkt gestellt, gleich welcher Sexualität, Religion oder welcher Nationalität er angehört.

Programm 2013

Dieser Satz über die Inklusion aller Identitäten steht auch in diesem Jahr 2022 auf unseren Fahnen.

Lasst uns diesen fortsetzen, denn was 2018 bereits programmatisch gefordert wurde, ist heute noch aktuell. Es kann nicht sein, dass genau die Menschen, deren Recht auf Selbstbestimmung noch immer durch Gesetze beschnitten wird, sich auch innerhalb unserer Gemeinschaft oft marginalisiert und nicht richtig angenommen fühlen. Wir müssen zusammen dafür eintreten, dass die Diskriminierung von Trans*Menschen in Deutschland durch das sogenannte Transsexuellengesetz endlich beendet wird. Stonewall was a Riot – und unter den ersten, die den Mut aufbrachten, sich der Polizeigewalt zu widersetzen, waren vor allem BiPOC-Trans*Menschen. Daran sollten wir uns alle erinnern, ob L, G, B, T, Q, I  oder A*.

Wir alle haben viele Eigenschaften, aber uns eint, dass wir in unseren unterschiedlichen Identitäten weit mehr Übergriffe, Anfeindung und Benachteiligung erleben als die „Mehrheitsgesellschaft“. Und wir erfahren diese Diskriminierungen unterschiedlich stark.

Ja, der CSD begann als Raum für homosexuelle Personen, aber er ist 2022 ein Raum für alle Identitäten des LGBTQIA* Spektrums, queere BiPOC Menschen möchten wir an dieser Stelle herzlich einladen, ihre Erfahrungen und Wünsche zu teilen. CSD bedeutet, dass wir uns für die Rechte von allen Identitäten, wenn sie verletzt werden, einsetzen müssen.

Wir wollen nicht nur offen für alle Orientierungen und Identitäten sein, sondern den CSD auch zu einem Ort machen, an dem sich Menschen treffen, die lernen und sich im respektvollen Umgang miteinander üben möchten.

Wir würden uns freuen, wenn Ihr Euch alle angesprochen fühlen könnt und laden Euch ein, mit uns zu sprechen, falls Ihr Euch nicht gesehen oder genannt fühlt. Der CSD ist ein Tag, der für die Sichtbarkeit aller stehen soll.

Schreibt uns an info@csd-frankfurt.de oder sprecht mit uns direkt auf dem CSD.

Text: Annette Kühn