1995

Emanzipation e.V. und Lebendiges Lesben Leben e.V.

GAYLIVE 95
Die CSD-Woche in Frankfurt Homosolidarität
vom 15. bis 23 Juli 1995

Herzlich willkommen, Hallo, Servus…
Das Lesbisch-Schwule Kulturhaus Frankfurt mit seinen Trägervereinen Lebendiges Lesben Leben e.V. und Emanzipation e.V. veranstaltet in diesem Jahr zusammen mit Frankfurt Community e.V. die Lesbisch-Schwulen Kulturtage.
Wir begrüßen alle Schwulen und Lesben, alle die es bereits sind oder es noch werden wollen, alle die es gerne sind, alle Positiven und Negativen, alle Mitbürgerinnen und Mitbürger dieser Stadt.

Wir haben die Woche umbenannt. Damit verbindet sich ein kleiner, für manchen auch größerer Schritt in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit.

Nachdem mit etwa 10.000 Besuchern bisher größten Straßenfest im letzten Jahr bildet in diesem Jahr ein zweitägi-ges Fest auf der Konstablerwache den Anfang. Es wird sicher ein erster Höhepunkt der Kulturwoche sein.

Das Programm in den Tagen danach bietet Nachdenkliches und Witziges – zum Zuhören, Mitreden, Tanzen, Feiern oder einfach nur zum Dabeisein. Zu sehen sind Künstler aus Frankfurt und aus ganz Europa.
Wir zeigen schwules und lesbisches Leben in seiner ganzen Vielfalt.

in weiterer Höhepunkt der Woche wird sicher das Abschlußfest im Zoo- Gesellschaftshaus sein. Im Saal Perfor-mance und Musik, auf der Terrasse der Biergarten. Wir wollen ausgelassen feiern und viel Spaß haben.Wir wollen aber trotzdem daran erinnern, daß die Lage der Schwulen und Lesben – insbesondere der HIV-Positiven in diesem Land – immer noch ernst ist. Auch wenn viele, besonders in Großstädten wie Frankfurt, durch einen offensichtlich mangelnden Leidensdruck nicht mehr realisieren, daß es noch vieles einzufordern gibt. Ein Beispiel lieferten die Eurogames zu Ostern. Solange Lesben und Schwule ihre Medaillen anonym entgegen nehmen müssen, können wir keine Ruhe geben.
Deshalb rufen wir wieder ganz besonders eindringlich zur Teilnahme an der Demonstration 1995 auf. Sie wird die zentrale Veranstaltung dieser Woche sein.

Wir gehen auf die Straße, um unsere Homosolidarität zu zeigen und wenden uns gegen jegliche Diskriminierung und offene Gewalt gegen Lesben, Schwule, und alle anderen Menschen, die nicht dem Stereotyp des angeblichen Normal-bürgers entsprechen.
Wir unterstützen und solidarisieren uns mit allen HIV-Positiven und an AIDS erkrankten Menschen.

Offener Brief

Die AIDS-Hilfe Frankfurt e.V. wird 1995 zehn Jahre alt. In diesen Jahren wurde mit viel Selbsthilfe-Engagement und Initiative eine deutlich politische Interessen-vertretung für die von HIV und AIDS hauptbetroffenen Menschen aufgebaut. Wir wollten es nicht widerstandslos zu-lassen, daß die von 1-1IV und AIDS besonders Betroffenen mit dem Stigma AIDS gebrandmarkt und von der Gesellschaft wie Aussätzige behandelt und ausgeschlossen werden.
Unser Ziel war und ist es, die Vorausset-zungen für eine lebensweisend-akzeptierende Kultur des Miteinanders verschiedener gesellschaftlicher Kulturen auf allen Ebenen von Gesellschaft und Politik durchzusetzen und der Diskriminierung, wo auch immer sie auftritt, entgegenzutreten.
Gleichzeitig haben wir ein sehr komplexes und differenziertes Hilfs- und Versorgungsnetz aufgebaut und von der Prävention bis zur Pflege und Sterbebegleitung bewiesen, daß wir durchaus in der Lage sind, für unser Gemeinwesen Sorge zu tragen.
Doch just zum 10-jährigen Geburtstags-fest erhalten wir das Überraschungsge-schenk – massive Mittelkürzungen der öffentlichen Hand, deren Auswirkungen die Existenz der gesamten AIDS-Hilfe aufs Spiel setzt. Bereits 1989 verabschie-dete sich die Bundesregierung aus der Verantwortung. Die Stadt Frankfurt und das Land Hessen sprangen zwar damals in die Bresche, haben aber in den Folgejahren die Zuwendungen ebenfalls mehrfach gekürzt. Doch große Sparbemühungen und die Schließung einer nicht mehr zu finanzierenden Substitutionsambulanz Ende 1994 ist es der AHF gelungen, ihr Angebot für die Hauptbetroffenengruppen gerade noch aufrechtzuerhalten.
Die 1995 angekündigten Kürzungen sind nun aber nicht mehr zu verkraften. Gerade die Kernbereiche unserer Arbeit im Schwulen- und Stricherbereich drohen jetzt auseinanderzubrechen.
Das Überleben der AIDS-Hilfe bedeutet eine große politische Herausforderung. Es dreht sich um nicht weniger als um den Erhalt der seit 10 Jahren geschaffenen, im AIDS-Bereich einmaligen und von den Betroffenen in hohen Maße angenomme-nen Angebotsstruktur.
Gelingt dies nicht, bedeutet dies das Ende einer bewährten und erfolgreichen AIDS- Politik, das Aus für die AIDS-Hilfe Frankfurt. Das heißt: Keine zielgruppenspezifische Prävention für Schwule und Drogengebraucher mehr, kein Recht auf eine lebensweisenakzeptierende Beratung, keine Betreuung und Pflege von qualifizierten Kräften. Uns muß dies Anlaß und Auftrag sein, wieder und stärker für unser Leben, für unseren Platz in dieser Gesellschaft zu streiten. Unsere erreichten, hart erkämpften und teuer bezahlten Erfolge dürfen nicht klammheimlich gestrichen werden.
Solidarität ist keine leere Formel, sondern die überlebensnotwendige Geisteshaltung, mit der wir unsere Rechte als vollwertige Mitglieder dieser Gesellschaft einklagen müssen.

Achim Teipelke
Geschäftsführer AIDS-Hilfe Frankfurt e.V.

Demonstration

Samstag, 15. Juli 1995 11:00 Uhr Mahnmal

Frankfurter Lesben und Schwule kämpfen und feiern – SELBSTBEWUSST
Wir rufen auf zur Demonstration am Samstag, den 15. Juli 1995 um 11.00 Uhr ab Mahnmal Homosexuellen-Verfolgung/Schäfergasse in der Frankfurter Innenstadt. Die Demo endet an der Konstablerwache, wo um 13.00 Uhr das Straßenfest beginnt.

Es muß endlich Schluß sein mit
der Benachteiligung von homosexuellen Menschen im Berufs- und Alltagsleben
mit der Nichtbeachtung und Nichtanerkennung lesbischer und schwuler Partnerschaften
mit der Gewalt gegen Lesben und Schwule

Wir fordern und kämpfen für
die Schaffung eines Antidiskriminierungsgesetzes
die Beseitigung des Frankfurter Pflegenotstandes
die personelle und finanzielle Absicherung der AIDS-Hilfen in Deutschland
eine verstärkte Bekämpfung der wiedererstarkten Rechtsextremen
den Erhalt und Ausbau des Lesbisch- Schwulen Kulturhauses
den personellen Ausbau der Lesben-Informations- und Beratungsstelle LIBS
eine Jugend- und Bildungsarbeit, die Homosexualität als gleichwertige Lebensform darstellt
eine vorbildliche Personalpolitik der Stadt Frankfurt für homosexuelle Menschen
die Anerkennung von Homosexualität als Asylgrund
eine Schul- und Bildungspolitik, die ethische und moralische Werte stärker berücksichtigt

Wir zeigen unsere Solidarität mit HIV+ und an Aids-erkrankten Menschen und unsere Trauer um die an den Folgen von Aids Verstorbenen.