1996

Homosolidarität, Gaylive, CSD: Viele Namen hat das Kind

Wie jedes Jahr findet auch 1996 ein großes schwul-lesbisches Straßenfest in Frankfurt statt. Nachdem die Klinger straße schon ’94 die wachsenden fröhlichen Mengen nicht mehr beherbergen konnte, versammeln wir uns auch in diesem Jahr auf der Konstablerwache – im Herzen der Stadt, wo wir auch hingehören. Es wird, schönes Wetter vorausgesetzt, wieder ein lautes fröhliches Fest in einer angemessenen Öffentlichkeit. Hiermit wird viel Gelegenheit zur Fleischbeschau unsererseits und sicherlich anregendem Gesprächsstoff für unsere willkommenen Gästen der anderen Fraktion ihrerseits gewährleistet bzw. geboten.

Öffentliche Ereignisse einer Gruppe werden naturgemäß innerhalb derselben gerne diskutiert. Dabei ist es gleich, ob es sich um einen Parteitag handelt oder um unseren CSD. Erwähnten heterosexuellen Gästen bietet sich die erhellende Erkenntnis, daß es genug Mitmenschen gibt, die ihrem nicht allzu exklusiven Klub nicht angehören und darüber auch noch froh sind. Wir dagegen haben die Möglichkeit, zu sehen, wie vielgestaltig und bunt die Gay Community tatsächlich ist – was angesichts des Umstandes zu begrüßen ist, daß wir uns selbst weitere Aufspaltung in viele verschiedene Szenen leisten. Der CSD ist das einzige Ereignis im Jahr, welches alle Lesben und Schwule in gleichem Maße anspricht und gemeinsam in die breitere Öffentlichkeit treten läßt. Aus diesem Grund stellt auch nur dieses Ereignis die Frage, wie wir uns der geneigten Öffentlichkeit überhaupt präsentieren wollen.

Die dabei ausgefochtenen Auseinandersetzungen haben den unangenehmen Beigeschmack eines Familienstreits. ‚Für Außenstehende sind die teilweise verhärteten Positionen schwer nachvollziehbar. Deshalb an dieser Stelle ein kurzer Rückblick:
Das erste, damals rein schwule „Straßenfest“, wurde anno ’78 in Frankfurt gefeiert – ein buntes, heiteres und politisches Fest. Auch die ersten Veranstaltungen in den Neunzigern waren noch sehr politisch geprägt. Erst die Teilnahme der Szenelokale ab ’93 verschaffte den staunenden Besuchern ein anderes Bild: Statt ernsthafter Diskussionen über alltägliche Unterdrückung und festem Beharren auf Bürgerrechten, spiegelte sich glücklicherweise eine weniger ernsthafte Veranstaltung wider, die dafür umso größer und öffentlicher wurde und nicht zu übersehen, geschweige denn zu überhören war. Alles in allem war die Stimmung sehr ausgelassen und selbstbewußt, eben gay, queer und zunehmend lesbian.

Dieser zu begrüßende Umstand ergrimmt leider viele ernsthaftere Mitglieder der Gemeinde. Sie vertreten die Auffassung, daß für unsere unterdrückte Minderheit ein „weihevolleres Fest“ angemessener wäre – mit viel Selbstbesinnung, kämpferischem Anspruch und revolutionärem Elan. Ein Ansinnen, das eigentlich zu loben ist; immerhin haben wir längst keine auch nur annähernde rechtliche Gleichstellung erreicht. Nun ist allerdings – wie bedauerlich – der Großteil der Gay&Lesbian-Gemeinde nicht dieser Ansicht und würde ein solches Fest meiden: Es wäre schließlich mit Sicherheit nicht das lustigste Ereignis des Jahres. Dies ist den Verfechtern der revolutionären Linie – die Bezeichnung sei erlaubt – nicht unbekannt. Allerdings nehmen sie die Abstimmung mit den Füßen in Kauf, oder wie eine Dame es engstirnig formulierte: „Lieber fünftausend, die etwas zu sagen haben, als vierzigtausend, die sich nur amüsieren wollen“.

An dieser Stelle hört der Spaß, mit Verlaub, einfach auf. Einerseits kann eine in sich gespaltene Gruppe der übrigen Gesellschaft nur schlecht Anerkennung und Respekt abverlangen; andererseits sind wir als Lesben und Schwule aus dem Stadium heraus, in dem wir uns vor lauter Unterdrückung die fröhlicheren Varianten des Feierns immerzu und -noch verkneifen müßten. Und wenn schon anerkanntermaßen seichte Magazine und TV-Sendungen uns als Propheten des Neuen preisen, ist Unterdrückung vielleicht auch nicht mehr ganz das richtige Wort. Es bringt auch wenig, in seminarhaften Tönen von allgegenwärtiger Gewalt, Militarismus, wiedererwachtem Rechtsradikalismus und watteweich von mangelnder Solidarität innerhalb der Gesellschaft zu reden. Zwar verdienen diese Phänomene sicherlich unsere Aufmerksamkeit als Staatsbürgerinnen, aber nicht als Plattform der Gestaltung eines Straßenfestes zum CSD.

Unsere Themen umfassen die Schaffung bzw. Stabilisierung von Selbstbewußtsein, die volle Integration in die Gesellschaft (einschließlich aller daraus folgenden Rechte), den vielschichtigen Kampf gegen Aids und die gesellschaftliche Gleichstellung der Frau.
Für alle diese Themen erreichen wir mit einem fröhlich bunten Straßenfest mehr als mit einer moralinsauren Dauerdiskussionsrunde unserer unerschütterlichen Frontkämpferinnen. Ganz zu schweigen, daß ein kreatives Fest einfach mehr Spaß macht, als Farbbeutel auf den Römer zu werfen oder einander mit Parolen zu steinigen.
Darum: seid fröhlich und mehret Euch! (30.000 waren es letztes Jahr …)

Frankfurt Community e.V