2002 – Wir haben unsere Geschichte nicht vergessen!

10 Jahre CSD Frankfurt

Im 10, Jahr findet nun der CSD in Frankfurt statt. Aus einem kleinen Szene-Straßenfest in der Klingerstrasse, der Homo- Solidarität, hat sich ein dreitägiges Event entwickelt.
Jede/r von uns verbindet ihre/seine ganz eigene, individuelle Geschichte mit dem CSD. Und so ist es gar nicht einfach, ein Fest auf die Beine zu stellen, das allen gerecht wird.
Mir ist es immer um das Verständnis des CSD gegangen. Der CSD hat im öffentlichen Umgang mittlerweile einen gewissen Grad an Normalität gewonnen. Keiner verdreht die Augen, wenn ein Homo ein Straßenfest anmeldet, Biertischgarnituren bestellt oder tonnenweise Grillwürstchen liefern lässt.
Aus der gesamten Republik reisen Besucherinnen jeglicher sexuellen Orientierung an. Schön, könnte man denken. Und trotzdem möchte ich nicht, dass der CSD ausufert. Andere CSD-Veranstalter beneiden uns in Frankfurt um unsere familiäre Atmosphäre und um die Überschaubarkeit des Festes. Er ist unser Fest, das Fest der Lesben, Schwulen und Transgender. Und das soll auch so bleiben. Deshalb mache ich außerhalb der Szene so wenig Werbung wie möglich.
Beim CSD, wie ich es mir vorstelle, sollen unsere politischen Inhalte Raum bekommen. Ein Politzelt als Diskussionsort ist eine Möglichkeit. Politische Inhalte, vielleicht in ganz anderer Form, sind aber auch außerhalb eines Wahljahres zu vermitteln, vielleicht in einem Kleinkunstzelt, zu dem sich das diesjährige Politzelt zukünftig mausern könnte.
Ich bedauere sehr, dass es so schwierig ist, Gruppen und Vereine zur aktiven Teilnahme am CSD zu motivieren. Haben wir wirklich nichts mehr zu bieten? Sind die Aktivisten müde, zu alt, ausgebrannt? Ist es den nachwachsenden jungen Lesben und Schwulen nicht mehr wichtig, sich auf einem großen Homofest zu artikulieren? Die Frage nach dem Top-Act auf der Bühne ist für Viele wichtiger als alles andere.

Doch der CSD ist für mich keineswegs nur Live-Musik und Bühnenprogramm. Der CSD ist Ausdruck unserer Entschlossenheit, Präsenz zu zeigen, zusammen zu kommen, sichtbar zu sein, gemeinsam etwas für die Veränderung unserer Lebenssituation zu tun.
Die Verbesserung unserer Lebenssituation ist eine Folge der CSDs weltweit Doch es wird noch viele CSDs geben müssen, damit sich wirklich im Denken etwas verändert.
Nur wenn wir das nicht vergessen und das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das der CSD uns jedes Jahr neu vermittelt, in unsere jeweilige Lebensweise integrieren, wird sich dauerhaft etwas verändern.

Rainer Gütlich

Wir haben unsere Geschichte nicht vergessen

Die Demo-Parade durch die Innenstadt

Das Motto des Frankfurter CSD 2002 lautet „Wir haben unsere Geschichte nicht vergessen.“ Die Heterowelt gibt uns immer wieder genug Anlass, uns daran zu erinnern, dass wir noch einen langen Weg bis zur völligen Gleichstellung von Lesben und Schwulen in der Gesellschaft vor uns haben. Die vermeintliche Akzeptanz, die wir gerade beim CSD erfahren, kann sich schnell wieder ins Gegenteil verwandeln.
Ja, es stimmt: Bei all dem Trubel und dem Vorberei-tungsmarathon könnte einem schon in Vergessenheit geraten, weshalb wir den Christopher Street Day feiern. Für die Einen ist er der bedeutsamste Tag ihres Lebens, für die Anderen lediglich ein City-Sommer-Event mit Spaß, Bier und Openair-Musik.
Viel ist über den eigent-lichen Anlass, den Stone-wall-Aufstand in New York, geschrieben worden. Viele Mythen und Legenden ranken sich um diesen Tag vor über 30 Jahren. Waren es Lesben, Schwule oder Tran- sen, die den Aufstand und somit die ersten massiven Proteste der Homosexuellen New Yorks gegen Schikane und Diskriminierung initiierten? Eigentlich ist das alles gar nicht so wichtig. Wichtig ist, dass Lesben und Schwule damals zum erstenmal begriffen haben, dass Stillhalten und Verstecken nicht zu einer Veränderung der Lebenssituation beiträgt, und dass der Kampf gegen Unterdrückung und Entwürdigung nur zum Ziel führt, wenn Kräfte gebündelt und gemeinsam gegen den Unterdrücker gekämpft wird. „Wir haben unsere Geschichte nicht vergesen“ heißt aber auch, wir haben all jene nicht vergessen, die unsere Geschichte mit-geschrieben, mit-gestaltet haben, die dafür sorgten, dass wir eine Geschichte haben und die sich vehement dagegen zur Wehr setzten, sich unsichtbar machen, sich marginalisieren zu lassen. Ganz egal ob als „große Frontleute“ oder als „kleine Szene-Zuarbeiterinnen“ .
Unsere Geschichte ist es tausendmal Wert, erinnert und erzählt zu werden. Sie macht oft traurig und wütend, aber sie macht auch stolz, Weil das, was erreicht wurde, ein Werk gemeinsamer Aktivitäten ist Der CSD, das große jährliche Homo-Come-together, ist Ausdruck unserer Gemeinsamkeit. Die Demonstration unterfüttert diesen Ausdruck mit all den Forderungen und Statements, die der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden müssen.